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Thilo Sarrazin.

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Thilo Sarrazin: "Es ist keine Beleidigung, in Hellersdorf zu wohnen"

Ex-Finanzsenator Thilo Sarrazin hatte bis 2009 die Aufsicht über die sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Jetzt warnt er vor staatlichen Eingriffen in die Mietenentwicklung.

Herr Sarrazin, um den Druck vom Wohnungsmarkt zu nehmen, wird eine Senkung der Mieten landeseigener Wohnungen gefordert. Was halten Sie davon?

Der Staat sollte mit seinen langen Fingern nicht hineinfummeln in die Gesellschaften, sondern sich heraushalten. Wohnungsbestände zu halten und zu sanieren, das ist der wesentliche Beitrag der Gesellschaften dazu, dass ein Quartier nicht abdriftet. Damit die Gesobau jetzt 300 Millionen Euro in das Märkische Viertel investieren kann, ohne staatliche Zuschüsse zu benötigen, muss sie mit auskömmlichen Mieten arbeiten dürfen. Daraus werden die Sanierungen bezahlt. Darin unterscheiden sich Wohnungsbaugesellschaften nicht von anderen landeseigenen Betrieben wie der BVG: Sie brauchen das Geld ihrer Kunden und vernünftige Preise, wenn sie funktionieren sollen.

Als Finanzsenator haben Sie die Wohnungsbaugesellschaften ermuntert, die Mieten anzuheben, um ihre Verluste abzubauen. Ist inzwischen ein kritisches Niveau erreicht?

Die Wohnungspolitik ist nicht dazu da, Menschen zusätzliche Renten zu verschaffen. Und es besteht kein Grund, dass der Berliner weniger Wohnkosten im Verhältnis zu seinem Einkommen aufwendet, als es Menschen anderswo tun. Die Mieten in Berlin haben sich in den letzten Jahren normalen Marktverhältnissen angepasst. Wenn man fünf bis acht Euro pro Quadratmeter für eine Wohnung mittlerer Qualität bezahlt, ist das völlig normal. Die Wohnbelastung nach Abzug des Wohngelds ist im Verhältnis zu den verfügbaren Einkommen nirgendwo so niedrig wie in Berlin. Und für die 20 Prozent der Berliner Bevölkerung die von Grundsicherung leben, zahlt sowieso der Staat die Miete. Wenn Berlin, was sich abzeichnet, Anschluss an die Entwicklung wirtschaftlich besser gestellter Städte bekommt, werden sich auch die Mieten entsprechend bewegen. Wir leben nicht auf einer Insel, auf der man sich vom Rest Deutschlands abkoppeln kann.

Und aus dem Zentrum werden die Haushalte mit geringen Einkommen vertrieben…

Es ist nicht menschenrechtswidrig, wenn man nicht am Kollwitzplatz wohnen kann. Und es ist auch keine Beleidigung, in Hellersdorf-Nord zu wohnen. Solange die Menschen würdig in vernünftigen Wohnungen untergebracht sind, in einem Gebiet mit vernünftiger sozialer Infrastruktur, und sie ihren Arbeitsplatz in zumutbarer Zeit erreichen können, hat der Staat seine Pflicht getan. Es gehört nicht zu dessen Aufgaben, Kiezprivilegien zu konservieren. Es ist doch klar, dass in einer Stadt mit 3,4 Millionen Einwohnern nicht alle in einer begünstigten zentralen Lage wohnen können.

Weil die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften vor allen Dingen Wirtschaftsunternehmen sind?

Landeseigene Unternehmen waren über viele Jahrzehnte ein Abflussloch für Cash, weil die Berliner Politik anders aufgestellt war. Überall gab es Defizite, und es wurde bezuschusst. Als ich Finanzsenator und für die Beteiligungen zuständig wurde, gab es ein Gutachten von Ernst&Young, wonach alle Wohnungsunternehmen nahe an der Pleite stehen. Als ich den Senat verließ, waren die Schulden um zwei Milliarden Euro gesenkt und sie machten Überschüsse. Trotzdem arbeiten die Wohnungsbaugesellschaften innerhalb des sozialen Mietrechts. Die Unternehmen brauchen klare Vorgaben und müssen innerhalb dieses Rahmens selbstständig wirtschaften können. Im Übrigen sind von den 1,6 Millionen Wohnungen in Berlin 270 000 in der Hand staatlicher Firmen. Das ist nur ein Teil des Wohnungsmarktes, dessen Einfluss man nicht überschätzen darf. Das Wohngeld ist dazu da, dass die Mietkosten für Haushalte mit niedrigen Einkommen in einer tragbaren Belastung bleiben.

In einem Brief stellen Sie sich hinter die frei gestellten Geschäftsführer der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Howoge, obwohl deren Direktvergaben als nicht rechtmäßig gelten. Vereinfacht ausgedrückt sagen Sie: Finanzsenator und Stadtentwicklungssenatorin wussten von dem eigenwilligen Vergabeverfahren. Stehen Sie weiterhin dazu?

Ich fand, es war angemessen und richtig, in einem sorgfältig formulierten und durchdachten Schreiben zu bestätigen, wie das gelaufen war. Ich habe auch mein Einverständnis erklärt, dass dieser Brief öffentlich verwendet werden kann. Wir haben ein Mal im Jahr Senatorengespräche mit den Wohnungsbaugesellschaften geführt. Die Termine wurden vorher fachlich vorbereitet. Es wurden schriftliche Unterlagen zugeschickt. Und jeder verfügte über einen dicken Ordner, den konnte er lesen oder auch nicht. Anschließend wurden mit Geschäftsführern und Aufsichtsräten die Perspektiven des Unternehmens diskutiert. Aber mehr will ich nicht sagen, es gibt einen Untersuchungsausschuss, und ich werde mich dort näher äußern.

Das Interview führte Ralf Schönball.

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